Gespräch mit Thomas Vogt von inova und Bettina Gebhardt, Inhaberin und Geschäftsführerin von Kontx Kommunikation.
Nachhaltigkeit ist in aller Munde und Nachhaltigkeitsberichterstattung das Gebot der Stunde. Doch was das überhaupt heisst und warum Unternehmen davon erzählen sollten, welchen Beitrag sie zur ressourcenschonenden Transformation von Wirtschaft, Umwelt und Sozialem leisten, das erklärt Thomas Vogt von Inova, der als Berater kleine und mittlere Unternehmen bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung unterstützt. Die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts mag vordergründig lästig wirken. Aber ein guter Nachhaltigkeitsbericht liefert willkommene Munition für eine effektive Unternehmenskommunikation, die wirksam beiträgt, Lieferantenbeziehungen zu sichern und neue Absatzmärkte zu erschliessen – gerade auch für den B2B-Bereich.
1. Kontx: was bedeutet Nachhaltigkeitsberichterstattung ?
Thomas Vogt: Nachhaltigkeitsberichterstattung ist der Prozess, bei dem Unternehmen ihre sozialen, ökologischen und governance-bezogenen Aktivitäten und Leistungen dokumentieren, analysieren und öffentlich kommunizieren. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung zielt darauf ab, transparente Informationen darüber bereitzustellen, wie ein Unternehmen mit sozialen und ökologischen Herausforderungen umgeht, wie es seine Stakeholder einbezieht und wie es langfristige Werte schafft. Corporate Social Responsibility oder ESG-Berichterstattung, was für Environmental, Social, Governance steht, sind andere Bezeichnungen dafür. Es geht also bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung immer um die drei Bereiche Ökonomie, Ökologie und Soziales. Das Zauberwort lautet Transparenz, also Sichtbarmachung. Und eine wichtige Bezugsgrösse sind die Stakeholder, also alle, die im und um ein Unternehmen herum zusammenwirken, ohne die wirkliche Veränderung nicht gelingen kann. Ein guter Nachhaltigkeitsbericht ist deshalb immer auch gutes Teamwork.
2. Warum sollte ich einen Nachhaltigkeitsbericht schreiben? Ist es nur die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung oder gibt es auch noch andere Vorteile?
Viele Unternehmen erkennen heute die wachsende Bedeutung der Nachhaltigkeitsberichterstattung, da sie eine Chance bietet, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen und ihre soziale Verantwortung transparent darzustellen. Die Motivationen sind vielfältig. Dies kann auf regulatorischen Anforderungen, wachsendes Interesse der Stakeholder, den Wunsch nach positiver Reputation oder internen Zielen zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung zurückzuführen sein. Als Berater unterstütze ich Unternehmen dabei, diese Motivationen zu verstehen und eine massgeschneiderte Nachhaltigkeitsstrategie und Berichterstattungslösung zu entwickeln, die den individuellen Zielen des jeweiligen Unternehmens entspricht. Mein bevorzugtes Werkzeug ist dabei der DNK.
3. DNK steht für Deutscher Nachhaltigkeitskodex. Was ist das genau und an wen richtet er sich?
Der Deutscher Nachhaltigkeitskodex, kurz DNK, bietet einen pragmatischen Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die kontinuierliche Berichterstattung bietet die Möglichkeit, die Entwicklung des Unternehmens über die Zeit hinweg sichtbar zu machen und gibt Orientierung für die praktische Umsetzung. Die von den Unternehmen eingereichten DNK-Erklärungen werden von speziellen Prüfern begutachtet. Nach Freigabe durch das Büro des DNK erhalten alle Anwender im Anschluss ein DNK-Siegel, mit dem sie frei werben können. Was den DNK so interessant macht, es ist ein Gratisservice, der vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) finanziert wird. Die Teilnahme ist für berichtswillige Unternehmen in Deutschland und anderen Ländern der EU und auch in der Schweiz kostenlos.
4. Auf welcher Grundlage werden Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet? Gibt es Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung?
Fakt ist, die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird zunehmend reguliert und es gibt eine Reihe von Regelwerken, die für unterschiedliche Markteilnehmer zu unterschiedlichen Zeitpunkten relevant werden. Eine Übersicht findet sich auf der Website des DNK. Die CSR-Direktive, was für Corporate Social Responsibility Directive, steht, ist eine EU-Richtlinie, die die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen unterschiedlicher Grössenordnungen in der Europäischen Union regelt. Die Berichtspflicht nach CSRD gilt ab dem Geschäftsjahr 2024. Davon sind zwar im ersten Schritt nur ca. 500 Unternehmen direkt betroffen. Mittelbar betroffen sind aber auch deren Zulieferer, das heisst viel mehr Unternehmen. Und Achtung: Schon für das Jahr 2026 müssen mehr als 15.000 Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht abgeben. Das heisst, die Welle kommt erst noch.
5. Ist das Thema auch für die Schweiz interessant? Gelten in der Schweiz die gleichen Regeln und gibt es dort auch eine Nachhaltigkeitsberichtspflicht? Welche Anforderungen gelten in der Schweiz?
In der Schweiz erstellen aktuell etwa 600 von 600 000 Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht. Anders als in Deutschland sind die Berichte sehr verschieden, deshalb kaum vergleichbar und auch meist ungeprüft. Es bestehen bisher kaum Richtlinien. Trotzdem gibt es Anforderungen und Richtlinien für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Unternehmen befolgen können. Swiss GAAP FER, also die Rechnungslegungsrichtlinien für Schweizer Unternehmen, bieten einige Leitlinien für die Berichterstattung über Nachhaltigkeit. Diese Richtlinien ermutigen Unternehmen dazu, Informationen zu Umwelt- und Sozialthemen bereitzustellen, die für das Verständnis der Geschäftstätigkeit relevant sind. Viele Unternehmen in der Schweiz verwenden auch die Richtlinien der Global Reporting Initiative (GRI) für ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung. Unternehmen in der Schweiz können ferner dem UN Global Compact beitreten und sich zu Prinzipien in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung verpflichten. Es ist wichtig zu beachten, dass die Anforderungen je nach Größe, Branche und Art des Unternehmens variieren können. Unternehmen können auch freiwillig zusätzliche Berichterstattungsstandards und -richtlinien übernehmen, um ihre Nachhaltigkeitsbemühungen transparenter darzustellen. Ich halte daher den Deutschen Nachhaltigkeitskodex für ein pragmatisches und gut strukturiertes Instrument, um sich dem Thema zu nähern. Nicht zu vergessen, dass es auch in der Schweiz politische Vorgaben gibt und Gesetzesinitiativen am Start sind, die auf eine erweiterte Berichtspflicht hinauslaufen. So fördert der Bund die Umsetzung internationaler CRS-Standards. Das wird somit selbst für die Unternehmen relevant, die keine Geschäftsbeziehungen nach Deutschland oder die EU unterhalten.
6. Warum sind insbesondere kleine und mittlere Unternehmen gut beraten, sich bereits heute mit dem Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung zu befassen?
Nachhaltigkeitsberichterstattung ermöglicht KMU, das Vertrauen ihrer Stakeholder zu stärken, Wettbewerbsvorteile zu erlangen und den Zugang zu Kapital und Investitionen zu erleichtern sowie sich auf sich ändernde regulatorische Anforderungen vorzubereiten. Schliesslich nicht zu unterschätzen ist die Verbesserung der internen Abläufe und Prozesse. Hierzu gibt es bereits vielen Vorbilder und positive Beispiele. In der Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsaspekten können auch KMU lernen, Umwelt- und weitere Risiken zu identifizieren und zu managen, was langfristig Kosten- und Reputationsvorteile verschaffen kann. Insgesamt trägt die frühzeitige Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsberichterstattung dazu bei, KMU auf eine nachhaltigere und erfolgversprechende Zukunft vorzubereiten.
7. Mit welchem Zeit- und Arbeitsaufwand müssen Unternehmen rechnen? Wie funktioniert Nachhaltigkeitsberichterstattung konkret?
Meiner Erfahrung nach sollte ein kleineres Unternehmen, das sagen wir mal 50 Mitarbeiter hat und zum ersten Mal einen solchen Bericht in Angriff nimmt, für Recherche und Aufbereitung der Informationen mit einem Arbeitsaufwand von ungefähr 5 Vollzeitäquivalenttagen rechnen. Mit ist aber ganz wichtig auf eines hinzuweisen. Ohne die Einbindung und vor allem auch den aktiven Support der Geschäftsführung kann das Vorhaben nicht zum Erfolg werden. Eine Nachhaltigkeitserklärung eine offizielle Unternehmenskommunikation.
8. Bedarf es immer einer Beratung oder können Unternehmen auch mit Bordmitteln der Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nachkommen? Welche konkreten Tipps & Anleitungen etc. können Sie den Unternehmen, die auf eigne Faust einen Nachhaltigkeitsbericht schreiben wollen, geben?
Ein Nachhaltigkeitsbericht ist eine Reise, die jedes Unternehmen im Prinzip selbst antreten kann. Eine Beratung ist nicht zwingend erforderlich, kann aber helfen. Genau wie ein Reiseleiter nicht zwingend erforderlich ist, man ihn aber trotzdem gerne dabeihat, wenn man sich gänzlich unbekanntem Terrain unterwegs ist. Der DNK-Bericht beispielsweise stützt sich auf ein Formular mit 20 Kriterien, in denen sowohl qualitative als auch quantitative Angaben einzutragen sind. Wer den Katalog das erste Mal ausfüllt, wird womöglich noch nicht viel zur Nachhaltigkeitsstrategie sagen können. Im Zuge der Auseinandersetzung mit den einzelnen Kriterien des DNK ergeben sich im Regelfall neue Erkenntnisse und Einblicke, die es den Unternehmen ermöglichen, solch eine Nachhaltigkeitsstrategie, und sei es in Grundzügen, zu entwickeln.
9. Darf ich auch freiwillig einen Nachhaltigkeitsbericht schreiben und warum sollte ein Unternehmen das tun, auch wenn es nicht dazu verpflichtet ist?
Gesetzlich verpflichtet sind viel weniger Unternehmen, als man meinen könnte. Insbesondere nicht die kleinen. Der springende Punkt ist ein anderer. Wenn die grossen Unternehmen ihre Berichtspflicht ernst nehmen, müssen sie auch ihre Lieferanten in den Blick nehmen. Das heisst, auch ein kleines, an sich nicht-berichtspflichtiges Unternehmen muss plötzlich Informationen zur eigenen Nachhaltigkeit liefern, was knifflig sein kann, wenn es ad hoc erledigt werden muss. Wer die Arbeit schon gemacht hat, ist also klar im Vorteil. Es ist sogar denkbar, dass die grossen Unternehmen ihre Lieferanten zwingen gewisse Berichtsstandards einhalten.
10. Erzählen Sie mal aus der Beratungspraxis. Wie entsteht so ein Nachhaltigkeitsbericht nach DNK-Standard und wie sieht er am Ende aus?
Der DNK umfasst 64 Fragen, die womöglich nicht alle beantwortet werden können. Das ist nicht schlimm. Nach dem Prinzip „comply or explain“ ist es jedem Teilnehmer grundsätzlich möglich, die Bereiche, in denen möglicherweise keine Daten vorhanden sind zu erklären, warum aktuell keine Daten vorhanden sind und wie das in Zukunft aussieht. Bei Bereichen die für ein Unternehmen irrelevant sind, kann ebenfalls erklärt werden, warum dies der Fall ist. Hier findet man viele Beispiele für gute Nachhaltigkeitserklärungen. Ob man mehr daraus macht, etwa einen repräsentativen Nachhaltigkeitsbericht, bleibt den Unternehmen überlassen.
11. In welcher Form dürfen Unternehmen die Ergebnisse Ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung kommunizieren?
Da der Nachhaltigkeitsbericht ein öffentlich zugängliches Dokument ist, rate ich meinen Kunden für gewöhnlich, neben der Pflicht auch die Kür zu laufen und die zusammengetragenen Informationen sowie die erreichten Fortschritte im Rahmen des Marketings einzusetzen. Tue Gutes und rede darüber war schon immer ein Grundprinzip erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit. Die Transformation unseres Wirtschaftssystems ist eine gemeinschaftliche und dem Gemeinwohl dienende Aufgabe. Wo passte dieses Kommunikationsprinzip also besser als hier.
12. Man könnte also sagen, wer keinen sauberen Nachhaltigkeitsbericht vorweisen kann, läuft bald Gefahr, aus der Supply Chain aussortiert oder ausgelistet zu werden?
Ich würde es positiv formulieren. Eine pro-aktive, gelingende Nachhaltigkeitskommunikation sichert das Unternehmen gegen Risiken ab und hilft unter Umständen sogar dabei, neue Kunden zu gewinnen. Ein gut gemachter Nachhaltigkeitsbericht, der auf den Informationen aufbaut, die im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung erarbeitet wurden, wird künftig immer mehr zu einem guten Aushängeschild für die Unternehmen.
13. Nachdem Sie andere bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung unterstützen, würde wir natürlich gerne wissen, ob sich selber auch diesem Prozess unterzogen haben?
Klar! Mein eigener Nachhaltigkeitsbericht ist in der DKN-Datenbank für jeden abrufbar.
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